Marktzeit in der Stadtkirche St. Marien in Celle am 17. August 2019
Herzlich willkommen zur Marktzeit in der Kirche Sankt Marien in Celle – zu einer halben Stunde Innehalten und Zuhören und Nachdenken.
I
Es war, als hätt‘ der Himmel die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder, die Ähren wogten sacht.
Es rauschten leis‘ die Wälder. So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande als flöge sie nach Haus.
Mit diesen Versen von Eichendorff lade sich Sie ein, einen Augenblick mit mir über die Seele nachzudenken.
Das griechische Wort Psychä steht sowohl für Seele als auch für „bewegt“, „buntschillernd“, also für etwas wie einen Schmetterling. Mich verzaubert dieses Bild von meiner Seele immer wieder, die da weit ihre Flügel ausspann, um – wie ein Schmetterling – durch die stillen Lande nach Haus zu fliegen.
Die Seele wird allgemein als der nicht materielle Teil des Menschen bezeichnet, dessen Nachweis sich allen Messmethoden der Physik und der Biologie entzieht.
Aber auch diejenigen, die die Existenz einer Seele leugnen, glauben meist an psychische Phänomene wie Vorstellen, Begehren, Fühlen und Wollen als Tätigkeiten der Psyche.
Religion, Philosophie und Psychologie haben eine jeweils eigene Vorstellung und Bedeutung der Seele entwickelt.
Der griechische Philosoph Aristoteles hatte bereits die Psyche als Seelenkraft beschrieben, die Vorstellungen entwickelt und denken kann.
Die Seele wurde im 19. Jahrhundert auch als „das innere Thätigkeitsprinzip eines lebendigen Wesens“ bezeichnet. Diese Kennzeichnung führte zu der Überlegung, ob nicht auch Tieren oder gar Pflanzen eine Seele zuzuschreiben wäre.
Im christlich geprägten Abendland hat sich die Vorstellung einer Trias von Körper, Geist und Seele als wesenbestimmendes Bild vom Menschen durchgesetzt. Dabei wird die Seele als der unsterbliche Teil des Menschen verstanden. Viele glauben auch an eine Wiedergeburt der Seele.
Wenn wir Christen von Seele sprechen, folgen wir dem Evangelisten Matthäus, der Jesus den Ausspruch zumisst:
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (Matth. 22).
Und bei Matthäus lesen wir auch den berühmten Spruch:
Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? (Matth. 16-26)
Die Seele bedarf der Pflege. Für die griechischen Philosophen war die gesunde Seele die unabdingbare Voraussetzung zur Erkenntnis von Wahrheit, ja von Erkenntnis schlechthin.
Das bedeutet, dass wir allein mit sinnlichen Wahrnehmungen, mit Messen, Zählen und Wiegen zu keiner verbindlichen Erkenntnis kommen können. Es bedarf dazu der Seele.
In vielen Kulturen wird die Seele als Essenz des Lebens betrachtet. Sie ist der nichtkörperliche Teil unserer Person, ein Bindeglied zur Transzendenz, aber auch eine unsere Gesundheit bestimmende Instanz.
Wir müssen also aufpassen, dass uns unsere Seele nicht verloren geht. Wir müssen sie uns vertraut machen und sind für sie verantwortlich. Wir können uns – in der Hoffnung, dass sie unsterblich ist – der Bitte des barocken Dichters Andreas Gryphius anschließen:
Lass, wenn der müde Leib entschläft, die Seele wachen.
Und wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen,
so reiß mich aus dem Tal der Finsternis zu dir
II
Die Geschichte des christlichen Abendlandes ist auch ein Kampf um die Seele des Menschen, bzw. ihre Definition. Der Einfluss der griechischen Philosophen, ihre Vorstellung von einer unsterblichen Seele und von der Wiedergeburt der Seele ist unübersehbar.
Es dauert bis 1515, bis die katholische Kirche den Frauen eine Seele zuerkannte.
Viel zu lange ging auch die herrschende Meinung davon aus, dass Heiden und sogenannte Wilde und Sklaven keine Seele hätten. Erst die Taufe mache aus dem Ungläubigen einen Menschen, so die Vorstellung.
Für mich ist der Mensch ein beseeltes Wesen und seine Würde ist eng mit seiner Seele verknüpft.
Daraus ergeben sich dann (mindestens) zwei Fragen, die Einfluss auf politisch und gesellschaftliche Entwicklungen haben.
Erstens: Wann kommt die Seele in den Körper? Wann wird das sich entwickelnde Wesen Mensch zur beseelten Person? Und daraus abgeleitet: welche Würde muss einem Embryo zugesprochen werden? Bis zu welchem Stadium seiner Entwicklung und vor allem ab wann? Ist ein Blasenkeim noch eine Sache oder schon ein beseeltes Wesen?
Die Ethikkommission hat den Zeitpunkt der Einnistung des sogenannten Blasenkeims in die Gebärmutter als die Entstehung des Menschen festgelegt.
Entsprechend wurde das Embryonenschutzgesetz formuliert.
Die zweite große Frage ist: Wann verlässt die Seele den Körper? Wann wird aus dem Menschen eine Leiche, eine Sache? Seit 1982 definiert nicht mehr der Herztod das Ende des Lebens, sondern der Hirntod. Der Menschen endet also nicht mehr mit dem letzten Atemzug, sondern mit dem Absterben der Gehirnzellen.
Was aber mit unserer Seele passiert, bleibt unserer Fantasie überlassen.
Institutionen der Zellforschung und der Reproduktionsmedizin, der vorgeburtlichen Diagnostik, Kontrollen und Eingriffsverfahren haben andererseits ein großes Interesse daran, die Seele als tatsächlichen Bestandteil des eine Würde besitzenden Menschen zu leugnen.
2014 durchforstete der Psychologe Ulrich Weger von der Uni Witten/Herdecke die ihm zur Verfügung stehenden Datenbanken und fand heraus, dass in den Fachartikeln das Wort soul (Seele) nur 387 mal erwähnt wurde, der Begriff brain (Gehirn) hingegen 37 422 mal. Und er bemerkte, dass 2014 in psychologischen Journalen nur ganze zwei Mal die Rede von der Seele gewesen sei.
Wenn das stimmt, müssen wir aufpassen, dass unsere Seele als Vorstellung keinen Schaden nimmt, dass sie nicht ganz aus unserem Leben verschwindet.
Für mich ist die Seele ein lebendiger Teil meines Wesens. Sie befähigt mich zu lieben, zu hoffen und zu glauben. Sie macht meine Einzigartigkeit aus. Der Verlust der Seele würde meinem Leben den Sinn und die Tiefe des Erlebens rauben. Sie würde mir die Würde nehmen und die Fähigkeit, mit meinen Mitmenschen ein Wir zu gestalten und die Fähigkeit dem Du Gottes zu begegnen.
Die Seele bedarf als Bestandteil meiner Person und als Bestandteil unserer lebenswerten mitmenschlichen Kultur der Pflege, wir müssen sie uns vertraut machen und für sie Verantwortung übernehmen.
Lassen Sie mich mit Eichendorff schließen:
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande als flöge sie nach Haus.