Marktzeit in der Stadtkirche St. Marien in Celle am 7. November 2019
Herzlich willkommen zur Marktzeit in der Kirche Sankt Marien in Celle – zu einer halben Stunde Innehalten und Zuhören und Nachdenken.
I
Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unseren Zeiten
Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten,
denn Du, unser Gott, alleine.
Mit diesem Gebet für den Frieden lade ich Sie ein, mit mir einen Augenblick – zu unserer Zeit – über den Frieden nachzudenken.
Martin Luther hatte in seiner Schrift „Vom Kriege wider die Türken“ die moralisch religiöse Erneuerung über die militärische Abwehr gestellt. Auf dem Reichstag zu Speyer im Frühjahr 1529 wurde ihm deshalb unterstellt, dass er mit diesem Vorrang der Glaubensfrage vor dem Militär den Reichsfrieden gefährde.
Seit dieser Auseinandersetzung stehen Protestantismus und Weltverantwortung im Mittelpunkt unseres Glaubens.
Die Verantwortung für die Welt und für den Nächsten bilden die Grundlage des Konziliaren Prozesses zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, mit dem Ergebnis, dass wir mit dieser protestantischen Friedensethik einen Beitrag zur Friedensfähigkeit von Gesellschaften leisten und wir für den Frieden streiten.
Die „protestantische Ethik“ wird getragen von der tiefen Überzeugung, dass unser Glauben und unsere Gotteserkenntnis und alle daraus entwickelten theologischen und ethischen Entwürfe fragmentarisch, vorläufig, hinterfragbar und bestreitbar sind.
Das heißt: Unsere Überzeugungen müssen sich immer auch den Protest, den Widerspruch, gefallen lassen.
Friedensfähigkeit zu entwickeln und zu steigern, heißt, Verantwortung vor Gott und den Menschen zu übernehmen, denn die Würde des Menschen ist nichts Abstraktes. Sie gründet auf den christlichen Zeugnissen von der liebenden Beziehung Gottes zu uns Menschen.
Beim Apostel Paulus heißt es im Galaterbrief:
„Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“
Wenn Gott mit seinem gütigen und liebenden Blick allen Menschen seine Ebenbildlichkeit zueignet, dann hat jegliche Identität – sei sie kulturell, geschichtlich oder geographisch begründet – nur ein relatives und kein absolutes Recht.
Das heißt: die soziale, kulturelle und religiöse Bindung wird nicht aufgehoben, sondern in einen übergeordneten Bezugsrahmen gesetzt.
Die Protestanten sprechen deshalb von der „versöhnten Verschiedenheit“. Mir scheint dieses Begriffspaar nicht nur für das Zusammenleben der Kirchen tragfähig und produktiv zu sein. Es ist auch eine Perspektive für den politischen Prozess für Frieden und Integration auf der Grundlage der Menschenrechte, und das nicht nur in Europa, sondern auch der globalen Welt.
„Versöhnte Verschiedenheit“ verweist auf eine produktive Spannung, in der Identität und Unterschiedlichkeit keine Gegensätze sind, sondern im Gegenteil: Identität und Differenz befruchten einander.
Lange haben wir den Prozess der Emanzipation zu einseitig als Lösung aus Bindungen und Konventionen begriffen. Das war im Wandel der Geschichte auch nötig. Gegenwärtig aber muss es darum gehen, Menschen, die sich ihrer Freiheit bewusst sind, dafür zu gewinnen, dass sie Bindungen eingehen und darin den Sinn ihrer Freiheit erkennen, dass für sie nicht mehr die Freiheit von etwas im Vordergrund steht, sondern die Freiheit für etwas.
II
Vor dreißig Jahren endete der sogenannte Kalte Krieg, der auf die Konfrontation zweier militärisch hochgerüsteter Blöcke zurückzuführen war.
Vor dreißig Jahren hatten vertrauensbildende Maßnahmen dazu geführt, dass sich die Blöcke auflösten. Es waren Christen, die angstfrei eine friedliche Revolution in Europa ermöglichten. Ein protestantischer Pfarrer konnte Verteidigungsminister und Abrüstungsminister in einem vormals kommunistisch regierten Teil Deutschlands werden. Das war ein ermutigendes Zeichen für die Friedensbewegungen in Ost und West.
Nicht mehr Friedfertigkeit wie im Kaiserreich war das Leitmotiv, sondern Friedensfähigkeit.
Im Herbst 2007 verabschiedet der Rat der Evangelischen Kirchen Deutschlands (EKD) eine Denkschrift mit dem Titel „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen.“
Im Zentrum der Denkschrift steht der Begriff des „gerechten Friedens“. Er ist Leitbegriff und Zielperspektive der christlichen Friedensethik. Vom gerechten Frieden zu sprechen, bedeutet eine deutliche Absage an die Lehre vom gerechten Krieg. In der Denkschrift heißt es: „Es kann für unsere Kirche kein Zurück zu der „Lehre vom gerechten Krieg“ geben. Wir glauben nicht mehr, dass der Krieg sich rechtfertigen lässt.“
Die Erfahrung vor dreißig Jahren hatte gezeigt, dass beide Seiten des Eisernen Vorhangs einen möglichen Krieg rechtfertigten, weil sie sich auf eine naturrechtlich begründete Denkfigur vom gerechten Krieg bezogen.
Von dieser Denkfigur Abschied zu nehmen, bedeutete freilich nicht, die Begründung für einen Krieg für völlig überholt zu halten. Die Verfasser der Denkschrift hoben vielmehr hervor, dass man sich nach den Regeln des Rechts unter Umständen an kriegerischer Gewaltanwendung beteiligen darf. Das ist aber etwas anderes, als den Krieg zu rechtfertigen.
Die klare Absage an den gerechten Krieg verneint also nicht grundsätzlich den Einsatz militärischer Gewalt zur Erhaltung des Rechts. Sie fordert aber die immerwährende Diskussion darüber, wo der Gewalt Grenzen zu setzen sind und wann diese Gewalt nicht mehr der Sicherung des Rechts dient.
An die Stelle der Idee des gerechten Krieges tritt also die Ethik der rechterhaltenden Gewalt.
Schon der Titel der Denkschrift zeigt die doppelte Perspektive. „Aus Gottes Frieden leben“ verweist auf den unverfügbaren, transzendenten Grund des friedlichen Handelns.
„Für gerechten Frieden sorgen“ nennt die innerweltliche, immanente Aufgabe und Herausforderung beim Namen.
Diese doppelte Perspektive bedeutet: Weil Christen „aus Gottes Frieden leben“, sorgen sie für den Frieden in der Welt.
Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Wo Menschen ihn nicht fördern und bewahren – eben für ihn sorgen – stellt er sich nicht von selber ein. Er muss gestiftet werden. Er ist eine immerwährende Aufgabe, für die wir Verantwortung tragen.
Im Gebet für den Frieden („Verleih uns Frieden gnädiglich“) bringen Christenmenschen zum Ausdruck, dass die Sorge für den Frieden der Welt Rückhalt findet im Vertrauen auf den Frieden Gottes, (der höher ist als alle Vernunft).
Wir Christen vertrauen das Wirken für den Frieden dem Segen Gottes an – so wie es am Ende unserer Gottesdienste heißt: „Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.“
Der Friede Gottes bildet Grund und Horizont allen menschlichen Bemühens. Durch ihn fühlen wir uns allen Friedensbemühungen von Kirchen und Gläubigen in allen Ländern verbunden. Wir bilden so ein weltweites Netzwerk von Christen, die – in Gottes Frieden aufgehoben – frei werden tolerant und bewusst für den Frieden aller einzutreten.
In diesem Sinne fühle ich mich verantwortlich für einen gerechten Frieden. Und ich werbe dafür, dass wir uns kraftvoll für ihn und eine versöhnliche Verschiedenheit einsetzen.