Musik

Marktzeit in der Stadtkirche St. Marien in Celle am 19. August 2017

I

Herzlich willkommen zur Marktzeit in der Kirche Sankt Marien in Celle, zu einer halben Stunde Innehalten, Zuhören und Nachdenken. Für den musikalischen Teil sorgt heute ein Streicherquartett unter der Leitung von Klaas Endler. Ich bin Dietmar Herbst.

Bei den Sommerlichen Musiktagen in Hitzacker sprach der Programm-Manager der Zeppelin Universität Friedrichshafen, Thorsten Philipp, über „Das Festival als Ort kultureller Nachhaltigkeit.“ Er erörterte an Beispielen aus der Popmusik die sehr komplexe Form der Wahrnehmung von Musik und ihre individuelle, gesellschaftliche und damit nachhaltige Bedeutung: das gemeinsame Hören und Erleben stiftet Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Identität; Musik macht Laune und erfreut, tröstet und stärkt, streichelt die Seele. Die Menschen gehen verändert aus einem Konzert. Das gilt für Popmusik wie für klassische Musik.

Seine Erkenntnisse und Überlegungen haben mich sehr angeregt und ich denke, man kann sie gut auf die Marktzeit übertragen:

Dieser wunderbare Kirchenraum – mit Kanzel, Altar, Kruzifix und Taufbecken – ist ein Ort des gemeinsamen Hörens, Singend und Betens. Und so unterscheidet er sich nicht nur von einem Museum, sondern auch von einem profanen Konzertsaal, auch dann, wenn nicht klassische Kirchenmusik gespielt wird. .

Eben haben wir Johann Sebastian Bach gehört. Er hat Ende des siebzehnten Jahrhunderts einen Zyklus von 14 Fugen und vier Kanons geschaffen, in dem er die kontrapunktische Funktion verdeutlichte. Dazu hat er ein eigenes Notensystem erschaffen. Dass dieses Werk heute hier von einem Streichquartett gespielt wurde, ist eine kleine Besonderheit. Meist wird das Werk auf Tasteninstrumenten (Orgel, Cembalo, Klavier) gespielt. So ist das  heutige Klangerlebnis nicht nur ein Beispiel für Besonderheit, sondern auch für Nachhaltigkeit – nämlich die Aneignung und die Aktualisierung von vor langer Zeit notierter Noten, die die Kunst und die Botschaft der Komposition in erlebbarer Form vermittelt.

Im Vorwort des Erstdrucks der Kunst der Fuge, der erst nach dem Tod Bachs erschien, schreibt der Musikwissenschaftler Diedrich Wilhelm Marpurg, „dass das Werk zwar aufs Trefflichste die Regeln der Fuge vermittle und es jedem angehenden Komponisten geraten sei, sich mit Fugen und Kontrapunkten vertraut zu machen; andererseits aber die Fuge heutzutage eine „Geburt des aberwitzigen Altertums“ sei, die aus der Kammermusik ganz ihren Abschied genommen habe, und der Kontrapunkt „den zärtlichen Ohren unserer itzigen Zeit barbarisch klinget“.

Wie sehr und wie nachhaltig sich Hörerlebnisse verändern! Ich vermute, sie haben die Musik ebenso wenig barbarisch empfunden wie ich.

140 Jahre nach Bachs Komposition schrieb der junge Debussy sein einziges Streichquartett, aus dem wir den dritten Satz, das Andantino, hörten. In der Partitur wird vermerkt: mit süßem Ausdruck.

Debussy lehnte sich gegen die klassisch-romantische Tradition auf und suchte in Harmonik, Klangfarbe und Rhythmik Alternativen.

Anlässlich der  Weltausstellung 1889 in Paris hörte und entdeckte er  russische, javanische und arabische Musik. Er übernahm die fremdländischen Klänge in seinen Kompositionen und erweiterte damit  die Hörgewohnheiten seiner Zeit. Mit den fremdartigen und sphärischen Klangbildern hat er die Musik in seiner Zeit revolutioniert und wurde so zum Stimmungskomponisten und zu einem der wichtigsten Vertreter des Impressionismus in der Musik  – vergleichbar  Claude Monet und Paul Gauguin in der Malerei.

Heute sind uns seine leichten, schwebenden und sphärischen Klangbilder vertraut.

Freuen Sie sich jetzt auf den ersten Satz von Haydns Streichquartett, dem Beginn eines Divertimentos, eines Vergnügungsstückes.

In Nomine Domini – im Namen des Herrn – beginnt der fromme Joseph Haydn 1772 die Niederschrift seiner Streichquartette.

Nachhaltigkeit pur, dies nun heute in der Stadtkirche Sankt Marien in Celle erklingen zu lassen und hören zu können.

II

Musik bereichert und erweitert unser Erleben und unser Leben, erinnert uns an unsere Wurzeln uns schenkt uns Flügel, streichelt unsere Seelen,  ermuntert unseren Geist, spielt mit all unseren Sinnen. Auch das ist Nachhaltigkeit: Musik als gesellschaftliche Prägekraft.

Dass wir heute  diese Musik hier hören können, liegt auch daran, dass  über Generationen Menschen Noten mit der Hand kopiert haben, dass Musikwissenschaftlerinnen uns Musikwissenschaftler in Archiven nach verborgenen Schätzen gesucht, sie erforscht, erarbeitet und damit zugänglich gemacht haben, dass Verlage sie veröffentlicht haben und  Instrumentenbauer getüftelt haben, mit welchen Instrumenten diese Notationen am besten umzusetzen wären, damit das, was sich der Komponist oder die Komponistin gedacht und aufgeschrieben hat, zum Klingen kommt.

Um Musik hören und genießen zu können, sind Konzertsäle gebaut, sind Orchester gegründet, Musikerinnen, Musiker und Dirigenten ausgebildet worden.

Die vier Männer, die wir heute hier hören, haben von Kindheit an geübt, ihre Instrumente zu bespielen, haben die Fähigkeit erlernt, Noten auf ihren Instrumenten in Schwingungen umzusetzen, damit wir sie hören können. Spielfreude und Fleiß haben sie zusammengebracht. Sie haben das heutige Programm zusammengestellt, ganz offensichtlich sich und uns zur Freude, zur Stärkung, zur Bereicherung. (Dafür ihnen einen herzlichen Dank).

Und wir? Wir  kommen an einem Markttag in der Celler Stadtkirche, zusammen, unterbrechen unseren Alltag und lauschen den Klängen von Kompositionen, die zwischen 1750 und 1918 aufgeschrieben wurden, folgen unseren Gedanken und Gefühlen, die sie auslösen und gehen verändert und gestärkt  in das Wochenende.

So ganz anders, als Heinz Erhard in seinem Gedicht Der Geiger behauptet hat, nämlich

Mit den Haaren von dem Pferde
Streicht er – weit entrückt der Erde –
Über straff gespannte Därme.
Und der Lauscher dieser Handlung
Denkt – infolge innrer Wandlung –
An die Pfoten grauer Katzen.
Auch ein Geiger kann gut kratzen.

Wir hören zum Abschluss  den zweiten Satz aus Elgars romantischen Quartett op. 83, der mit PIACEVOLE – erfreulich, angenehm – überschrieben ist.

 

 

 

 

Geist

Marktzeit in der Stadtkirche St. Marien in Celle am 1. Juli 2017

I

Herzlich willkommen zur Marktzeit in der Kirche Sankt Marien in Celle, zu einer halben Stunde Innehalten, Zuhören und Nachdenken. An der Orgel begleitet uns Holger Brandt; ich bin Dietmar Herbst.

Mehrfach ist in dieser Kirche Haydens Oratorium „Die Schöpfung“ aufgeführt worden. Es ist immer wieder ergreifend, wenn der große Chor mit dem Satz beginnt: „Und der Geist Gottes schwebte auf der Fläche der Wasser“ und dann mit großem Forte mündet in: „Und Gott sprach: es werde Licht.“

Am Anfang war der Geist, die Idee, die Vision, der Gedanke – und das Wort. Gott benutzt Sprache, um sein Werk zu schaffen.

Vor kurzem haben wir Christen Pfingsten gefeiert, die Aussendung des Heiligen Geistes. Die Jünger empfangen den Heiligen Geist, überwinden ihre Angst und gehen auf die Straße und reden freimütig von Jesu Ideen, Visionen und Gedanken. Sie verkünden seine Idee von einem friedlichen Leben, von Nächstenliebe, die aus der Liebe Gottes zu den Menschen genährt wird, von Gerechtigkeit, von geistlichem Reichtum.

Der Pfingstbericht in der Apostelgeschichte spricht von einem Sprachwunder. Die Menschen verstehen die Botschaft der vom Geist Beseelten. Es sind keine Tweeds und Blogs, keine Fake-News oder Hasspredigten, keine Pöbeleien gegen Andersgläubige oder Andersdenkende. Vielmehr verbindet dieser „Heilige Geist“ und befreit.

Diese Befreiung durch den Geist habe ich ganz besonders in den Kirchenräumen in der ehemaligen DDR erlebt. Ich habe erlebt, wie mit ihm die Angst vor den totalitären Machthabern verloren ging, wie z. B. in den Friedensdekaden die friedenstiftende Kraft des Geistes erfahren wurde und die Menschen stärkte.

Ich erinnere mich an die verbindende Kraft beim gemeinsamen Singen des Liedes

O komm,  du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein.

Auch nicht kirchlich geprägte Menschen haben die Kraft dieser Gemeinschaft wahrnehmen können , und wahrgenommen.

Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, die ihren Geist einengte, wollten sie in dieser neuen Gemeinschaft beseitigen. Und so sangen sie voller Inbrunst mit:

Unglaub und Torheit brüsten sich frecher jetzt als je;/
darum musst du uns rüsten mit Waffen aus der Höh. /
Du musst uns Kraft verleihen, Geduld und Glaubenstreu /
und musst uns ganz befreien von aller Menschenscheu.

Die Pastoren und die Gemeinden, die ihre Kirche  für die protestierenden Bürger öffneten, taten dies im protestantischen Geist. Sie wussten um die Kraft des Wortes, um die schöpferische und kritische, aber auch um die versöhnende und verbindende Kraft des Geistes.

Sie glaubten fest an den Geist des FRIEDENS der höher steht als alle menschliche Vernunft – wie wir in jedem Gottesdienst hören.

II

Wie wir die Welt verstehen und welches Menschenbild wir haben, hängt  wesentlich von der Bedeutung ab, die wir dem menschlichen Geist, unserem Verstand, zumessen. Unser Welt- und Menschenbild hängt davon ab, ob und wie wir – im Sinne der Aufklärung – uns unseres Verstandes/Geistes ohne Anleitung anderer bedienen, bedienen können.

In Meyers Konversationslexikon von 1887 finde ich unter dem Stichwort Geist den folgenden Satz:

„Was durch Lebendigkeit, Neuheit des Gedankens eindringliche Kraft, phantasievolle Frische uns überrascht, fesselt, fortreißt, davon sagen wir, das be-geistert uns; kühne Ideen, sinnreiche Kombinationen, witzige Einfälle, treffende Vergleichungen, originelle, ja paradoxe Ansichten, nennen wir geist-reich.“

In der Trias von Körper, Geist und Seele steht der Geist für den Verstand, für die Erkenntnis, für das Finden von Wahrheit und für ethische Entscheidungen. Der Geist ist menschliche Wirkkraft, d. h.,  der Geist befähigt uns zur Gestaltung unserer Welt.

Nun produziert die Welt in unserem digitalen Zeitalter eine immer exaktere Kopie von sich selbst. Die digitalen Datenströme bilden in Echtzeit immer mehr und immer vielfältigere Situationen ab. Die wachsende Zahl von Sensoren an den Oberflächen unserer körperlichen, privaten und beruflichen Existenz wird verbunden mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit der künstlichen Intelligenz.

Diese künstliche Intelligenz – also nicht die natürliche Leistung unseres individuellen Geistes – ist mit dreifacher Kompetenz ausgestattet:

Erstens lernt die künstliche Intelligenz mit ihren Programmen in hoher  Geschwindigkeit, Datenkorrelationen zu erfassen und Trends bloßzulegen, die sich der menschlichen Wahrnehmung bis dahin entzogen hatten.

Zweitens kann sie Situationen aller Art interpretieren.

Drittens kann sie in der Folge Empfehlungen formulieren.

Ob wir mit unserem Willen, den ich dem Geist zuordne, in der Lage sind und bleiben, uns diesen Empfehlungen zu entziehen, wird in Zukunft ganz wesentlich über unser Leben, unsere Autonomie entscheiden.

Alle diese Systeme beherrschen das Lernen und perfektionieren sich deshalb ununterbrochen, d.h. das Verhalten eines Systems wird nicht vorab durch sein Programm festgelegt.

Diese „Künstliche Intelligenz“ (KI) soll unsere menschlichen Unzulänglichkeiten ausgleichen und uns gefahrlos durch die „beste“ aller Welten lotsen. Der menschliche Faktor wird dabei neutralisiert und neu .positioniert.

Dank seines Geistes galt der Mensch bisher als einziges mit Urteilskraft begabtes Wesen. Nun stehen wir in der Gefahr, durch eine neue, als überlegen angesehene Wahrheitsinstanz, verdrängt zu werden.

Nicht mehr wir üben mit Hilfe unseres Geistes und Verstandes, unserer Sinne und unseres Wissens Gestaltungsmacht aus, sondern eine künstliche Interpretations- und Entscheidungsgewalt soll für uns in allen Lebensbereichen inclusive im Arbeitsleben entscheiden. So die Idee der Schöpfer. Sie versprechen uns, mit den endlos variierten und erweiterten Kräften der künstlichen Intelligenz alle Mängel unseres Lebens und unseres Alltags zu beheben.

Ich finde, diese digitalen Technologien überschreiten eine Grenze. Sie stellen unsere Existenz und viele unserer Grundprinzipien auf den Kopf. Ich hoffe, wir können den richtigen Widerstand leisten, um unseren Geist zu retten, und uns weiterhin unseres Verstandes ohne Anleitung anderer bedienen, damit wir weiterhin be-geistert und geistreich sein können, wie es im Meyer von 1887 steht:

„Was uns durch Lebendigkeit, Neuheit des Gedankens eindringliche Kraft, phantasievolle Frische überrascht, fesselt, fortreißt, davon sagen wir, das be-geistert uns; kühne Ideen, sinnreiche Kombinationen, witzige Einfälle, treffende Vergleichungen, originelle, ja paradoxe Ansichten, nennen wir geist-reich.“

Mit der Bitte, dass „DER GEIST GOTTES UNSRER SCHWACHHEIT AUFHELFE und uns begleite, wünsche ich uns ein gesegnetes Wochenende.

17. Juni

Marktzeit in der Stadtkirche St. Marien in Celle am 17. Juni 2017

I

Herzlich willkommen zur Marktzeit in der Kirche Sankt Marien in Celle – zu einer halben Stunde Innehalten und Zuhören und Nachdenken. An der Orgel begleitet uns Ole Magers; ich bin Dietmar Herbst.

Heute ist der 17. Juni – ein geschichtsträchtiges und denkwürdiges Datum, ein Datum, an das wir uns ganz sicher auf sehr unterschiedliche Weise erinnern. Heute, ganz besonders an den verstorbenen Kanzler der Deutschen Einheit Helmut Kohl. Aber ich möchte an den Tag der Deutschen Einheit erinnern.

Vor 64 Jahren – im Juni 1953 – nahm die Unzufriedenheit der Bevölkerung in der DDR zu: es gab zu wenig Lebensmittel, es gab nachts häufig keinen Strom. Als Mitte Juni dann auch noch die Arbeitsnormen erhöht wurden, was die Kürzung der ohnehin knappen Löhne bedeutete, streikten in Ostberlin Bauarbeiter und gingen auf die Straße. Innerhalb weniger Stunden schließen sich Menschen in mehr als 700 anderen Orten diesem Protest an. Aus dem Streik wird ein Volksaufstand mit den zentralen Forderungen: Rücktritt der Regierung und freie Wahlen. Dieser Protest der Arbeiter wird von der Regierung des sogenannten Arbeiter- und Bauernstaates mit Hilfe russischer Panzer brutal niedergeschlagen. Heute vor 64 Jahren

In der Bundesrepublik Deutschland wurde der 17. Juni zum gesetzlichen Feiertag, zum Tag der Deutschen Einheit. An diesem Tag sollte fortan an die Menschen gedacht werden, die für Rechte, für gerechten Lohn und für Freiheit gekämpft haben und dafür brutal niedergeschlagen wurden. Dieser Feiertag sollte uns alle daran erinnern, dass die beiden Staaten – DDR und BRD – trotz allem zusammengehören, und wir im Westen uns eine Vereinigung der beiden Teile wünschen.

Auch wenn der 17. Juni heute kein Feiertag mehr ist und sich nur noch wenige Menschen an die Ereignisse von damals erinnern, so gehört der damalige Aufstand in Ostberlin und der DDR zu den prägendsten und bedeutendsten Ereignissen der jüngeren deutschen Geschichte. Ohne die damaligen Ereignisse lässt sich die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte nicht erklären, ist die Fluchtbewegung aus der DDR, die Abstimmung mit den Füßen ebensowenig nachzuvollziehen wie der Bau der Mauer 1961, die systematische Verfolgung und Einschüchterung Andersdenkender, die Poteste gegen das Regime – schließlich die friedliche Revolution von 1989.

Die Vereinigung Deutschland, die sich viele Bürger 1953 erhofften, wurde erst 1989/90 von den Bürgern der DDR erreicht, die sich mutig ihrem eigenen Regime entgegenstemmten und friedlich demonstrierten.

Ich erinnere uns an diese Ereignisse in einem von der Kultur des Erinnerns geprägten Raum: Die Bilderfriese an den Emporen erinnern an geschichtsträchtige Ereignisse unserer christlich-jüdischen Vergangenheit. Die Sonderausstellung erinnert an die Reformation und ihre Folgen. Die Bilder des Altars und des Kreuzes erinnern uns an den Ursprung unseres Glaubens.

Gleichwohl ist der Verlust kollektiven Erinnerns an die Anlässe unserer christlichen Feiertage zu beklagen. Der Reformationstag wird zum verkaufsfördernden Holloweentag umgebogen, der Tag zum Gedenken an Christi Himmelfahrt wird zum dem Alkoholkonsum förderlichen Vatertag umgemünzt und die Bedeutung von Ostern, Pfingsten und Weihnachten droht in Vergessenheit zu geraten.

Auch in der Welt werden Ereignisse umgedeutet und umbenannt, wird Erinnerung daran diffamiert und verboten. Die Benennung des Völkermords an den Armeniern als Genozid führt zu  diplomatischen Verwerfungen mit der Türkei. Die Chinesen verbieten das Erinnern an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Die Bundeswehr entfernt ein Foto eines ehemaligen Bundeskanzlers in  Wehrmachtsuniform aus einer Kaserne.

Im Spiegel gegenwärtiger oder zeitnaher Ereignisse verschieben sich unsere Sichtweisen, unsere Bewertungen und Benennungen. Dabei wissen wir und erleben, dass Erinnerungen auch etwas sehr persönliches sind, das sie sich verändern, verblassen oder verklären.

II

Erinnern tut Not. Sich an Nichtgelungenes und Gelungenes zu erinnern führt uns zur Selbstvergewisserung, zur Stärkung. Mein Erinnern ist Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Zukunft. In meinem Geburtsjahr 1939 schrieb Brecht sein Gedicht „An die Nachgeborenen“, das für mich ein Ausdruck eines solchen Brückenschlages ist. .

Mich hat dieses Gedicht durch mein  bisheriges Leben begleitet und es ermutigt und fordert mich auch am 17. Juni 2017 heraus.

Brecht :  An die Nachgeborenen

I
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für sein Freunde
Die in Not sind?

Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin ich verloren.)

Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.

Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist;
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.

Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

II
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf erden mir gegeben war.

Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verrät mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit, die auf erden mir gegeben war.

Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

III
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unserer Schwäche sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

Gingen wir doch, öfter die Schuhe als die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unserer
Mit Nachsicht.

 

Barmherzigkeit

Von der Barmherzigkeit

Marktzeit in der Stadtkirche St. Marien in Celle am 2. September 2016

I

Ich begrüße Sie ganz herzlich hier in der Kirche Sankt Marien in Celle zur Marktzeit: zu einer halben Stunde Innehalten, Hören und Nachdenken. Ich bin Dietmar Herbst,  Glied dieser Kirchengemeinde und lade Sie heute ein zum gemeinsamen Nachdenken über die Barmherzigkeit.

An der Orgel spielt heute Hans Christian Martin aus Weimar. Er lädt uns heute unter anderem zu einer musikalischen Meditation des heutigen Themas ein. Ich freue mich darauf.

Über fünfzig Mal ist im Neuen Testament von Barmherzigkeit die Rede: als einer Eigenschaft Gottes und als Haltung von Menschen  – oder als Gebot, Fremden, Witwen und Waisen zu helfen.

Jesus spricht die Barmherzigen selig. Geber und Empfänger von Barmherzigkeit sind verbunden in der Gewissheit, Gottes Kinder zu sein.

Das vergangene Jahr wurde von Papst Franziskus zum Jahr der Barmherzigkeit erklärt. In seinem Buch „Der Name Gottes ist Barmherzigkeit“ wendet sich der Papst auch gegen Selbstgerechtigkeit, Korruption, Anmaßung und Scheinheiligkeit. Und er schreibt: „Die Kirche ist  in der Welt, um die Begegnung mit dieser ursprünglichen Liebe zu ermöglichen, die die Barmherzigkeit Gottes ist.“.

1987, in der Zeit von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion, schrieb der russische Philosoph Daniil Granin einen Essay „Über Barmherzigkeit“. Für ihn besteht Moral aus Konkretem, aus Gefühlen, Eigenschaften und Begriffen. Eines dieser Gefühle ist die Barmherzigkeit. Und er stellt dar, wie der Begriff Barmherzigkeit in der Sowjetunion systematisch verdrängt wurde.

Barmherzigkeit sei ein altmodischer Begriff. – schreibt er – „und heute unpopulär und durch unser Leben gewaltsam abgetrennt. Sie ist nicht zufällig abhanden gekommen. Zu Zeiten der Entkulakisierung, der Vernichtung des Großbauerntums und der massenhaften Repressionen, war es den Menschen nicht gestattet, den Nächsten, den Nachbarn und den Familien der Betroffenen zu helfen. Es war nicht erlaubt, die Kinder der Verhafteten und Verbannten bei sich aufzunehmen. Die Menschen wurden gezwungen, die harten Gerichtsurteile zu billigen. Sogar das Mitgefühl für unschuldig Verhaftete war verboten. Gefühle wie Barmherzigkeit galten als verdächtig, sogar kriminell: Das sei doch apolitisch, nicht klassenmäßig. In Zeiten des Kampfes störe und entwaffne einen das nur.“  Soweit Granin.

Barmherzigkeit hätte tatsächlich die Gesetzlosigkeit und die Brutalität der Machthaber stören können, das willkürliche Einsperren, das Denunzieren, das Morden und Vernichten.

So ist auch in den 30er und 40er Jahren das Wort aus dem Lexikon, aus dem Wortschatz verschwunden. Mitleid wurde den Gestrauchelten im Verborgenen und unter Risiko erwiesen.

So durfte auch nicht von den Leiden und Qualen in der belagerten Stadt Leningrad gesprochen werden, sondern nur von dem heroischen antifaschistischen Kampf.   –

Ganz anders die Geschichten in der Bibel. Sie erinnern sich sicher an das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter.

Zwischen Jericho und Jerusalem war jemand unter die Räuber gefallen. Ein Priester kam vorbei und ein Levit. Sie schauten weg. Aber ein Samariter (für Juden ein Ketzer) erbarmte sich, versorgte die Wunden, brachte den Mann in ein Gasthaus und bezahlte die Pflegekosten. Dem Barmherzigen geht die Not des Elenden zu Herzen, er fragt nicht viel, er handelt und hilft.

Wir sind aufgefordert, in der Nachfolge dieses barmherzigen Helfers zu leben.

II

Was wir den Migranten schulden und was nicht“ ist ein sehr bemerkenswerter Aufsatz des Theologen, Politikers und Philosophen Richard Schröder. Auch hier geht es um Barmherzigkeit.

Er unterscheidet zwischen Flüchtlingen, die einer Gefahr für Leib und Leben oder einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer Menschenwürde entronnen sind und zunächst Bleiberecht für die Dauer der Gefahr erhalten, und Einwanderern, die ihre Heimat dauerhaft oder auf Zeit verlassen, um anderswo bessere Lebenschancen zu finden. Und er sagt:

„Flüchtlingen schützenden Aufenthalt zu gewähren ist eine Forderung der Humanität. Barmherzigkeit darf auch etwas kosten, oder: Es muss sich nicht lohnen.“

Barmherzigkeit gilt ihm als Tugend oder Verhaltensweise, die ihren Ort in der Nahbeziehung hat. Davon kann es nie genug geben.

Der Barmherzigkeit stellt er die Gerechtigkeit zur Seite, die Tugend, Gleiches gleich zu behandeln und zwar nach festen Regeln.

Und dann kommt er zu einer beachtenswerten Schlussfolgerung:

„Barmherzig zu sein, ist gelegentlich einfacher, als gerecht zu sein. Wäre der barmherzige Samariter auf mehrere Elende gestoßen, wäre er mit dem Gerechtigkeitsproblem konfrontiert worden, wen er mitnehmen kann und wen er zurücklassen muss, da er nur ein Reittier hatte. Gerechtigkeitsprobleme entstehen immer unter Bedingungen der Knappheit. Wo sie auftreten, lassen sich nie alle Erwartungen erfüllen. Das ist unangenehm, und deshalb ist die Perspektive der Barmherzigkeit beliebter als die Gerechtigkeit.                              Schröder fährt fort:

Einzelne können barmherzig sein, auch Institutionen, die sich der Barmherzigkeit verschrieben haben. Der Staat aber darf nicht barmherzig sein, weil er gerecht sein muss. Er muss nach Regeln verfahren und die Folgen bedenken. Wenn er Ausnahmen machte, wäre er korrupt. Denn Korruption ist ja nichts anderes als die vorteilhafte Ausnahme für wenige auf Kosten der Allgemeinheit. Daraus folgt: Bei jeder Regelung der Migration, die Gerechtigkeit anstrebt, wird es immer auch Härten, Enttäuschungen und unerfüllte Erwartungen geben.“   Zit. Ende

Diese Gegenüberstellung von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit treibt mich um.

Ich fange an, dass Gleichnis vom barmherzigen Samariter neu zu sehen. Ich erlebe in dieser Stadt und in diesem Land ein hohes Maß an bürgerschaftlichem Engagement, an Barmherzigkeit.

Davon kann es nie genug geben, sagt Richard Schröder und ergänzt:

Es wäre viel gewonnen, wenn Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sich angemessen ergänzten und begrenzten.

Das zu lernen, scheint mir eine Herausforderung unserer Gegenwart zu sein.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Wochenende und viel Mut für Barmherzigkeit und Kraft für Gerechtigkeit.

Ruhe

Marktzeit in der Stadtkirche St. Marien in Celle am 2. Juli 2016

Über allen Gipfeln ist Ruh
In allen Wipfeln spürest du
kaum einen Hauch;
die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
ruhest du auch.

Mit diesem lyrischen Kleinod des deutschen Dichters Johann Wolfgang von Goethe begrüße ich Sie hier in der Kirche Sankt Marien in Celle zur Marktzeit: zu einer halben Stunde Innehalten, Hören auf die Musik, die uns heute Gabriele Blanz darbietet und Nachdenken über das Thema Ruhe.

Es scheint mir so, als sei Ruhe in Verruf geraten, als müssten wir uns für Ruhe entschuldigen, als sei sie ein Vergehen, eine Sünde.

In meiner Kindheit wurde ich noch mit Lebensregeln erzogen wie: „Sich regen, bringt Segen.“ und  „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“ So wird der Sonntag, der Ruhetag, der Urlaub, die Ruhezeit zum Eventrausch, zu einer Zeit, in der man sich Ruhe erarbeiten muss.
 
Und viele ältere Menschen scheinen sich verpflichtet zu fühlen, den wohlverdienten Ruhestand am Ende eines kräftezehrenden Arbeitslebens zu einem Unruhestand umgestalten zu müssen. Die Ruheständlerinnen und Ruheständler sehen sich nach einem zweiten Beruf um.

Muße ist in meinem Leben einer der stärksten Leitbegriffe. In meiner Kindheit lag ich an der Weser, sah dem fließenden Wasser zu und lauschte dem leise knisternden Wachsen des Grases im Frühjahr. Später bin ich immer wieder mit dem Sonnenaufgang aufgestanden, um das Erwachen der Natur zu erleben. Und an einem Lagerfeuer zu sitzen, die Flammen und das Verglimmen des Holzes zu erleben, war immer beruhigend für mich.

Ruhe und Muße sind Geschwister. Aber Muße ist nicht Nichtstun. Muße ist der Zustand, in dem  Erinnerungen und Träume miteinander verflochten werden. Wer ruht, erinnert sich und streckt sich gleichzeitig nach der Zukunft aus.
 Es ist, als ob verflossene Zeit und die Zukunft ineinander übergingen.

Ich glaube, dass unsere Seele ihr eigenes Wurzelwerk hat. Sie ist verankert in der Vergangenheit und in der Zukunft, im Himmel und auf der Erde.

In dem Gedicht Mondnacht beschreibt Joseph von Eichendorff Ruhe als den Schwebezustand, aus dem heraus sich die Wirkkraft unserer Seele entfaltet, die zur Quelle wird für unser Ich.

Es war, als hätt der Himmel die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.

Ruhe ist mehr als das Leerwerden, das uns der Buddhismus anbietet. In der Ruhe liegt die Kraft, zu uns selbst zu finden, uns zu erweitern, die Kraft zu entwickeln, sich selbst zu begegnen und das Ich zu leben, das uns befähigt, ein liebevoller und liebesfähiger Mensch zu werden. Um so liebesfähig zu werden, bedarf es der Ruhe, in der ich Gott begegnen kann.

Die Ruhe ist etwas, das jenseits des Räumlichen und des Sichtbaren wirkt. Sie bringt uns in Kontakt mit dem Herzschlag. Sie eröffnet einen Raum und  einen Windschutz für die  Liebe.

Im 127ten Psalm heißt es:

»Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf« (Psalm 127,2).

„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf!“. Das habe ich früher immer mit leichtem Spott gehört. Bis ich gemerkt habe, wie erquickend der Schlaf ist. Ich habe mich zum Nehmenden entwickelt und kann geben, weil ich in der Ruhe getankt habe, weil ich mich erquickt fühle, weil ich in der Ruhe erfahren habe, dass ich angenommen bin.

Zu den tiefen spirituellen Weisheiten – nicht nur der christlichen, sondern auch anderer Religionen – gehört die Einsicht, dass ein Teil dessen, was der Mensch braucht, nur aus der Ruhe heraus zugänglich ist. Man kann es sich nicht nehmen, man kann es nur bekommen.

II

Nun ruhen alle Wälder ,

Vieh, Menschen, Städt und Felder,

es schläft die ganze Welt;

ihr aber meine Sinnen,

auf, auf ihr sollt beginnen

was eurem Schöpfer wohl gefällt.


Dieses Kirchenlied  spiegelt unsere Hinwendung zur Ruhe.

Im diesem Zusammenhang könnte man den Sabbat, den Sonntag, die Ruhe ein Sakrament nennen, eine unsichtbare Gnade, aus der heraus sich die Wirkkraft meiner Seele, meines sinnlichen Trachtens entwickelt und sich reich verästeln kann.

Und ich wiederhole meine Überzeugung, dass das, was der Mensch braucht, nur in und aus der Ruhe zugänglich ist. Man kann es sich nicht nehmen, man kann es nur bekommen.

In der christlich-jüdischen Religion ist der Sabbat, der Sonntag die Vollendung der Schöpfung und ein zu heiligender Tag.

Der kuschitischen Stamm der Gallas in Äthiopien kennt eine Göttin der Ruhe –  Sambatu. Sie gibt den Menschen den Wochenzyklus wie sie Frauen den monatlichen Zyklus gab. Sie lehrt Frauen, auf ihre körperlichen Zyklen zu achten und sich immer wieder mit der Erdkraft zu verbinden – aus deren Ruhe und Beständigkeit heraus neue Impulse und neue Schöpfungskraft entstehen kann.

Einer meiner Freunde, ein Suchender  und gläubiger Mensch, der sich selbst für ungläubig hielt, sagte mehrfach zu mir: „Du hast es gut mit Deinem Jesus“, oder „Du machst es dir ganz schön leicht mit Deinem Jesus“.  Ja, ich kann es mir leicht machen, weil ich selbst im Schlaf weiß, dass ich angenommen bin, dass ich dann, wenn ich absichtslos und an allen Effektivitätsbestrebungen vorbei lebe, angenommen und geliebt bin. Aus meiner Glaubensgewissheit heraus leite ich das Recht für mich ab, meine Zeit unproduktiv und unrentabel zu verbringen.

Und immer wieder stellt sich der Segen unerwartet ein.

Und ich lasse mir nicht mehr einreden, dass meine Ruhephasen mich vom eigentlichen Leben abziehen. Ich will nicht gezwungen sein, mir meinen Platz und meinen Wert verdienen zu müssen. Ich glaube, dass mir durch die Ruhe Kraft zuwächst.

Wer nun nicht an die Heiligung des siebten Tages in der Schöpfung glaubt, der kann sich an die Göttin Sambatu hängen. Aus der göttlichen Ruhe kommt alle Kraft. Sie verhilft den Menschen, (wieder) in ihr Zentrum zu gelangen. Müßiggang und „Faulheit“ sind keine Zeitverschwendung, keine verlorene Zeit, sondern viel mehr ein Gewinn.

Am Ende der heutigen Ruhephase hier in der Stadtkirche hören Sie ein Kirchenlied aus unserem Gesangbuch, gespielt auf der Orgel von Gabriele Blanz. Mit dem dazugehörigen Text entlasse ich Sie mit Gottes Segen in ein hoffentlich ruhiges Wochenende.

Sollt ich meinem Gott nicht singen?

Sollt ich ihm nicht dankbar sein?

Denn ich seh in allen Dingen, wie so gut er’s mit mir meint. 

Ist doch nichts als lauter Lieben, das sein treues Herze regt,

das ohn Ende hebt und trägt, die in seinem Dienst sich üben.

Alles Ding währt seine Zeit,

Gottes Lieb in Ewigkeit.